ICO-512

Gedanken auf der Rolle, oder: Versuch über das Fahrradfahren auf der Stelle von Martin Sommerhoff

Wenn es draußen ungemütlich wird, ist ihre Zeit wieder gekommen. Käme hier ein Unbedarfter vorbei, er würde ins Staunen geraten. Von außen wahrnehmbar lediglich als eine Art Brausen, Brummen oder Zischen, gemischt mit Stimmengewirr; bisweilen unterbrochen vom Skandieren merkwürdig anmutender, gebetsmühlenartiger Geheimformeln: „Einen leichter, drei Stufen rein, zwei schwerer, alle Stufen raus!“

Von oben betrachtet: ein Dutzend Männer im besten Alter, auf Fahrrädern, ihre Hinterräder fixiert in etwas, dass sie ‚Rolle nennen’, aufgestellt im Kreis, legen sich auf Geheiß eines Rädelsführers ins Zeug, und treten auf der Stelle, bis sie ins Schwitzen geraten. Raumgewinn: Plus minus Null! – Worum geht es hier?

Der Effiziensgedanke scheint auf jeden Fall nicht ihre vordringlichste Motivation zu sein. Eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Verhalten von Nagetieren in Gefangenschaft, respektive Goldhamstern in ihren Laufrädern, die sich vergeblich bemühen an ein Ziel zu gelangen, das sie nie erreichen werden, ist diesem Szenarium nicht abzusprechen.

Doch was um alles in der Welt soll das sein? Ein absurdes Theater? Ein Happening? Ein Kunstprojekt? Eine Protestaktion? Ein heidnisches Reinigungsritual zur Besänftigung böser Mächte? Was für Geister sollen da vertrieben werden?

diesesmal: „Links, links, links, links, links!“ – Links, – links, – links, – links, –links …? Vielleicht doch eine politische Kundgebung?

„Und drehen, drehen, drehen, drehen …!“ Aber woran drehen die? …, na, am Rad natürlich, logisch, woran denn sonst?“

Da! –schon wieder: „Jetzt fahren wir nach Hause! Noch 1000 Meter!“ Hä…? Nach Hause? – Im Stand? – Noch 1000 Meter? Was soll das heißen?

Um den Geheimnissen auf die Spur zu kommen, bin ich inzwischen selbst einer geworden und Fragen drängen sich auf: Kann man vom Fahrradfahren auf der Stelle im Kopf verrückt werden? Gibt es Studien über Langzeitschäden? Und wie machen sie sich bemerkbar?

Unter Eingeweihten erzählt man sich die Geschichte von jenem Stehradler, der seinerzeit einmal völlig entnervt mitten in der Übungsstunde sein Rad gepackt, selbiges samt Rolle über den Kopf gewuchtet und durch die Glasbausteinwand der Trainingsstätte katapultiert haben soll, um anschließend mit einem respektablen Hechtsprung durch das dabei entstandene Loch ins Freie zu hüpfen. Er soll nie wieder gesehen worden sein.

Augenzeugen gibt es keine mehr und wahrscheinlich handelt es sich bei der Geschichte um Radlerlatein der reinsten Sorte, doch muss ich gestehen, dass mir Gedanken solcher Art nicht gänzlich fremd sind, es mir aber bisher an Mut, an der Entschlossenheit, ja schlicht an der Mannhaftigkeit gemangelt hat, diese in die Tat um zu setzen.

Und wo wir einmal bei Geständnissen sind: Auf meiner persönlichen Hitliste der stumpfsinnigsten Dinge, die man auf dieser Erde tun kann, rangiert Fahrradfahren auf der Stelle auf einem gesicherten Platz im vorderen Mittelfeld.

Doch mit rationalen Überlegungen allein, wird man den Kern des Phänomens nicht ergründen. Fahrradfahren auf der Stelle ist wie mitmarschieren in einer Karnevalskapelle. Zaungast zu sein reicht da nicht aus, da muss man mitgemacht haben, um einfach dabei gewesen zu sein.

Fazit: Wem es einmal gelungen ist, sich auf großem Blatt und kleinem Ritzel in einer Turnhalle im Wiegetritt einen leibhaftigen Berg vor das innere Auge zu imaginieren, der wird am geistigen Reinigungseffekt solcher Unterfangen keinen Zweifel mehr hegen. Wer das nicht vermag, dem mangelt es schlicht und einfach an Phantasie. Na dann: Trinken nicht vergessen! …

Prost Heinz-Otto!

Martin Sommerhoff

Handlungsreisender in Sachen gesunder Menschenverstand und langjähriges Mitglied beim RV

Autor, Kabarettist, Satiriker, Sänger, Liedkomponist – geboren 1956 in Siegen;
Studium: Philosophie, Musik, Sportwissenschaften. Seit über 30 Jahren als professioneller Kabarettist und Liedermacher im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. Meisterschüler der Kabarettistin Lore Lorenz und Kulturpreisträger der Stadt Hürth.

 

Wir danken dir lieber Martin für deinen gelungen Beitrag. Und wenn Ihr mehr über Martin erfahren wollt werft einen Blick auf seine Internetseite www.martinsommer.de oder besucht eines seiner Liverprogramme